Die Ausstellung "KlangSchatten" fand in fünf Erfurter Kirchen im Jahr 2000 statt, die Installation "Atemwege" befand sich in der gotischen Hallenkirche St. Severi.

The exhibition "KlangSchatten" (SoundShadow) took place at five churches in Erfurt in the year 2000, the installation "Atemwege" (Airway or Respiratory passage(s)) was installed at St. Severi, a gothic church with nave and side aisles of equal heights.

 

Siehe Text von Dr. Markus Wimmer unten auf dieser Seite

See text by Dr. Markus Wimmer at bottom of page.

"Atemwege", 2000, St. Severi, Erfurt (im Rahmen des Projekts „Klangschatten“)

Kalkantenglocke (zur Einleitung der Klangereignisse). 

"Atemwege" (Respiratory tract), 2000, St. Severi, Erfurt (as part of the project "Klangschatten")                         

 

Bellows treader bell (to start the sound installation)

„Atemwege“, 2000, St. Severi, Erfurt (im Rahmen des Projekts "Klangschatten“)                                                                           Der Atemweg beginnt oben im "Heiliggeistloch" des Gewölbes in ca. 20m Höhe und führt durch die Hallenkirche nach hinten zu zwei roten Atemobjekten.

 

The airway starts at the Holy-Spirit-hole approx. 20m high up in the vault and leads through the church nave to two red breathing objects in the back. 

"Atemwege": Zwei Atemobjekte je ø 130cm im hinteren Teil der Hallenkirche                                                                                Der letzte Atemzug wird in das Schofar geleitet.

Two breathing objects, diameter 130cm

 

The last breath goes to the Shofar.

"Atemwege", das Schofar in der Mitte der Hallenkirche wird aus den beiden Atemobjekten zum Abschluss der Klangereignisse beblasen

The shofar in the center of the church is blown as final action of the sound events.

 

Mögen auch die Systeme unterschiedlich sein: alle organische Kreatur atmet. Atem, der Austausch von Atemluft, bildet ein System der Verbundenheit, des Energietransfers auf dem Planeten Erde. Der Rhythmus des Atmens ist er elementarste Impuls unserer Existenz. Atem ist die Türe zwischen Leben und Tod, beschreibt die Metapher des göttlichen Odems und steht synonym für Leben.

 

Klaus Illis pneumatische Installation „Atemwege“ in der gotischen Hallenkirche St. Severi simuliert Atemprozesse mit technischen Mitteln, gerade so als entstamme sein Weltbild dem mechanischen Modell. Schläuche führen durch den lichten Raum, ein Gebläse holt Luft aus dem Dachstuhl und bläst sie in zwei rote Scheibenobjekte im rückwärtigen Teil der Halle. Die Technisierung eines organischen Vorgangs monumentalisiert den Prozess, schafft ein Zeichen für Leben. Erst im Erleben der distanzierten technischen Transformation als pneumatische Skulptur wird sich der Zuhörer und Betrachter der Elementarität des Aktes bewusst, er entdeckt sich als Atmenden: „ich atme, also bin ich“. Der Kirchenraum mutiert zur Atemmaschine, zum Labor energetischen Austauschs. Die Verdoppelung der Atemobjekte insistiert auf der dialogischen, kommunikativen Geste des Austauschprinzips. Alle Atmenden existieren in einer sozial vernetzten Struktur. Atem erklärt sich als gesellschaftlicher Akt. Das „Aus“ und „Ein“, der Rhythmus evoziert Zeit, Bewegung im Raum, so wie sich die Luft bewegt und verwandelt zwischen Inspiration und Expiration wie sich alle Atmenden im intimen Akt des Atmens ihre Luft teilen und miteinander verbinden, eine elementare Communio bilden.

 

Der Rhythmus erfüllt den Raum und offenbart Klaus Illis Maschine als konzertante Metapher elementarer Lebensprozesse. Ein Kalkantenglöckchen, welches ursprünglich als Signal des Organisten eingesetzt wurde, um von den Kalkanten, den Balgtretern mehr Luft einzufordern, initiiert die „harmonia mundi“ zu Beginn jeder Sequenz. Ein jüdisches Widderhorn, auf einem Stativ erhöht, beschließt das Klangbild. Dieses Schofar steht historisch-biblisch und im praktizierten jüdischen Ritual im Zusammenhang mit Offenbarung, Gedenken, Ermahnen und Erlösung. Material und Klang der Instrumente, das natürliche gewundene Horn der Urtrompete und die gegossene Glocke offenbaren die Unterschiede beider Religionen. Antizyklisch zur religionsgeschichtlichen Chronologie von Juden und Christentum initiiert die Glocke den schöpferischen Akt des Atmens, während das Schofar die finale Dimension darstellt. Der hier erzeugte Naturton entsteht aus dem letzten Ausatmen der Objekte. Das Schofar steht für alle älteren archaischen und primordialen Gottesbegegnungen.

 

Im Prinzip des Atmens treten christliche und jüdische (bzw. primordiale) Religion in eine neue Beziehung, stellen ihr Verwobensein, ihre elementare Verbindung dar und zwar jeweils nicht mehr aus der verzerrten Sicht des Anderen, vielmehr aus überzeitlicher und unhistorischer Perspektive. Schließlich verweisen sie auf die Einheit im Absoluten. Rhythmus und Setzung der Klänge geben der Installation ihren rituellen Ablauf wie eine große Zeitmaschine, welche immer wieder zum Stillstand kommt und von neuem beginnt. In der finalen Situierung des Schofars überschneidet die Partitur der „Atemwege“ die alte Zeitrechnung.

 

Als Zeitmaß benutzt Klaus Illi die Struktur biologischer innerer Uhren. Der wissenschaftlich beobachtete Rhythmus umfasst mehr als die geophysikalischen 24 Stunden der Erdrotation. In den Körperfunktionen des Menschen läßt sich dieser endogene Rhythmus erkennen. So gerät der Viertelstundenschlag der Kirchenglocke in Dissonanz zur biologischen Zeitrechnung der pneumatischen Maschine.

 

Klaus Illis Atemprozesse sind Wellen zwischen Leben und Tod, zwischen individueller Existenz und dem Absoluten. Die gotische Hallenkirche transformiert zum Gefäß dieser „Lunge“, spendet hierdurch dem Betrachter Energie, so wie sein Atem vitale und mortale Erinnerung gespeichert hat, diese markiert die Grenze von Innen und Außen und läßt das letzte Geheimnis offen.

 

Die Technisierung des Atemvorgangs in Klaus Illis „Atemwege“ monumentalisieren das Austauschprinzip: In der Stille nach der Exhalation, wenn die hochgewölbten Membranen ihre Luft ausgestoßen haben, in dieser unausweichlichen Stille ruhen alle Gegensätze, bleibt die Zeit stehen und ein Raum der Leere entfaltet sich. Dieser Raum dichtester Existenz des Nichts schließt alles ein, bildet den Mittler zwischen dem initiierenden Klang der Glocke und dem finalen Ton des Horns.

 

Markus Wimmer

 

Even though the systems may be different: all organic creatures breathe. Breath, the exchange of breath air, forms a system of connectedness, of energy transfer on planet Earth. The rhythm of breathing is the most elementary impulse of our existence. Breath is the door between life and death, describes the metaphor of divine breath and is synonymous with life.

 

Klaus Illis' pneumatic installation "Atemwege" in the gothic Hallenkirche St. Severi simulates breathing processes with technical means, just as if his view of the world originated from the mechanical model. Hoses lead through the bright room, a blower takes air from the roof truss and blows it into two red disc objects in the rear part of the hall. The mechanization of an organic process monumentalizes the process, creates a sign for life. Only in experiencing the distanced technical transformation as a pneumatic sculpture does the listener and observer become aware of the elementality of the act, he discovers himself as a breathing person: "I breathe, therefore I am". The church space mutates into a breathing machine, into a laboratory of energetic exchange. The doubling of the breathing objects insists on the dialogical, communicative gesture of the exchange principle. All breathing beings exist in a socially networked structure. Breath explains itself as a social act. The "off" and "on", the rhythm evokes time, movement in space, just as the air moves and transforms between inspiration and expiration, just as all breathing people share and connect their air in the intimate act of breathing, forming an elementary communion.

 

The rhythm fills the space and reveals Klaus Ili's machine as a concertante metaphor of elementary life processes. A Kalkantenglöckchen, which was originally used as a signal by the organist to demand more air from the Kalkanten, the bellows treaders, initiates the "harmonia mundi" at the beginning of each sequence. A Jewish ram horn, raised on a tripod, concludes the sound. This shofar is historically biblical and in the Jewish ritual practised in connection with revelation, remembrance, exhortation and redemption. The material and sound of the instruments, the natural winding horn of the original trumpet and the cast bell reveal the differences between the two religions. Anticyclical to the religious-historical chronology of Jews and Christianity, the bell initiates the creative act of breathing, while the Schofar represents the final dimension. The natural clay produced here is created from the last exhalation of the objects. The Schofar stands for all older archaic and primordial encounters with God.

 

In the principle of breathing, Christian and Jewish (or primordial) religion enter into a new relationship, represent their interweaving, their elementary connection, in each case no longer from the distorted view of the other, but rather from a supertemporal and unhistorical perspective. Finally, they refer to unity in the absolute. Rhythm and setting of the sounds give the installation its ritual course like a large time machine, which always comes to a standstill and begins anew. In the final situation of the Schofar, the score of the "Atemwege" overlaps the old chronology.

 

Klaus Illi uses the structure of biological inner clocks as a measure of time. The scientifically observed rhythm encompasses more than the geophysical 24 hours of the Earth's rotation. This endogenous rhythm can be recognized in the bodily functions of man. Thus the quarter-hour strike of the church bell comes into dissonance with the biological time calculation of the pneumatic machine.

 

Klaus Illis breathing processes are waves between life and death, between individual existence and the absolute. The Gothic hall church transforms into the vessel of this "lung", thereby giving the viewer energy, just as his breath has stored vital and mortal memory, which marks the boundary between inside and outside and leaves the last secret open.

 

The mechanization of the breathing process in Klaus Ili's "respiratory tract" monumentalizes the principle of exchange: in the silence after the exhalation, when the highly arched membranes have expelled their air, in this inescapable silence all opposites rest, time stands still and a space of emptiness unfolds. This space of the densest existence of nothing encloses everything, forms the mediator between the initiating sound of the bell and the final sound of the horn.

 

 

Markus Wimmer