ATEM

 

Alle Körper, egal ob künstlerisch gestaltet oder nicht, stehen in einer Beziehung zum Raum. Das gilt dann selbstverständlich in besonderem Maße für Skulpturen und Plastiken. Warum man über die Plastiken von K. Illi sagen kann, dass sie mit dem Raum kommunizieren, hängt mit ihrer spezifischen Körperhaftigkeit zusammen. Die Körper seiner Plastiken stellen eine Synthese dar von Innen und Außen, weil ihre Materialität sich völlig auf eine Hülle, Haut oder Membran konzentriert, die eine Grenze zwischen dem Innenraum und dem Außen der Plastiken artikuliert.

                               

In den pneumatischen Installationen werden Körper, Raum und Zeit zu einem Kontinuum verbunden. Der Körper als Substanz tritt immer mehr zurück und Luft wird das zentrale skulpturale Material. Ein dynamisches System erzeugt naturähnliche, zyklische Prozesse, in denen die Rhythmen der scheinbar atmenden Objekte Assoziationen an elementare Lebensvorgänge hervorrufen.

Die kinetisch-akustische Installation ist interaktiv, sie reagiert auf Annäherung des Betrachters. Das für eine bestimmte Zeit ruhende Gesamtsystem, die zyklisch eintretende Stille, bildet ein ebenso wichtiges Element der Installation wie das bewegte. Anfang und Ende lässt das Bewusstsein von Zeit und Endlichkeit entstehen.

Mit industrieller Technik als einem exponierten Hauptelement des Systems wird der Zusammenhang von Technik und Natur und damit unser Zivilisations- und Fortschrittsbegriff problematisiert. In der Utopie eines symbiotischen Verhältnisses deutet sich ein Wandlungsprozess (Paradigmenwechsel) an, der sich in den westlichen Industriegesellschaften möglicherweise anbahnt.

 

"Da ist zunächst und in ganz unmittelbarer und unreflektierter Weise das Erschrecken der ersten Begegnung mit den rhythmisch atmenden Objekten, das ein rein ästhetisches Sehen aufhebt und die eigene Körperhaftigkeit als Moment des Wahrnehmens und Begreifens fast zwingend einführt: dass ich selbst atme und nur als Atmende existiere, macht mich unwillentlich zum Bestandteil der Installation.

Nichts lässt mich meine Vereinzelung und Ineins, mein Gebundensein an ein Außen deutlicher erfahren als mein Atem. Die existentielle Dimension dieser widersprüchlichen Kopplung kann in Momenten um so erschreckender zu Bewusstsein kommen, als ich mich als Atmende nur in Ausnahmesituationen in vergleichbarer Weise beobachte wie ich meine Sinneswahrnehmungen, Sehen, Fühlen usw. beobachten, d.h. von mir distanzieren und sie reflektieren kann. Als Atmende bin ich zugleich auf mich zurückgeworfen und soziales Wesen. So auch als Sprechende. Atem, das ist lebendiges Schweigen, im Atem verbirgt sich die Disposition zum Sprechen...

Schließlich habe ich die Installation insgesamt als Modell eines sozialen „Körpers“, als eine Art Schicksals-Gemeinschaft erlebt: keines der Atemobjekte ist wie das andere, jedes ist seinem eigenen Rhythmus unterworfen und doch sind sie gleich in ihrer Beziehung zum Raum, in ihrer Abhängigkeit von Raum als Substanz wie von der sie 'beatmenden' Mechanik".

 

Dr. Renate Wiehager, Villa Merkel Esslingen, 1993 (seit 2000 Leiterin der Kunstsammlung Daimler)

 

Aus:     „Kommunikation mit dem Raum. Zu den Sculptural Objects von Klaus Illi“,

            Katalog Klaus Illi, Ostfildern 1993

 

 


KATHARSIS

 

Für Klaus Illi ist Luft seit Anfang der 90iger Jahre das zentrale skulpturale Material. Technik ist integraler Bestandteil seiner kinetischen Arbeiten. Mit seinen Katharsismaschinen bemüht sich Klaus Illi um exemplarische Sauberkeit am Ausstellungsort - natürlich sind diese Objekte auch ein augenzwinkernder Kommentar über die vielzitierte „schwäbische Hausfrau“ oder genauer: sie sind eine selbstironische Untersuchung des Schwabengens. Seine Besen fegen manchmal unter den Teppich, seine eisernen heavy duty Besen sind fürs Grobe zuständig, während seine feinfühligen Varianten archäologisch suchend und freilegend tätig sind. Gern verwendet Illi von Blinden gefertigte Besen. Öfters können die pneumatisch-elektrischen Besen auch zu einer fast tänzerischen Choreographie, einem "Besenballett" zusammenfinden, das sich durchaus auch klanglich bemerkbar macht und beispielsweise die deutschen Nationalhymne fegt

 

 

 

 

AGNOSIE

 

Illi beschäftigt die freiwillige Blindheit der Sehenden, wobei er sich mehr für die gesellschaftlichen als individuellen Prozesse des Erblindens interessiert. Er arbeitet mit verschiedensten Medien installativ an einer künstlerischen Analyse unserer Sehdefekte, was physiologische, psychologische und historische Fragen beinhaltet.

 

Klaus Illis Untersuchungen mit kinetischen Apparaten, mit Fotografie, Video, Licht und Luft sind zumeist zeit- und ortsspezifische Prozesse. Er betreibt mit seinen Katharsismaschinen, Agnosie- und Kataraktarbeiten eine archäologische Spurensuche und legt Mechanismen des Wegsehens, Ignorierens und Vergessens frei. Bei dieser künstlerischen Ursachenforschung interessiert ihn besonders kollektive Amnesie als Folge ideologischer Verblendung.

 

Er arbeitet in diesem Bereich öfter mit der israelischen Künstlerin Inga Fonar Cocos zusammen.

 

 


Atmen, Kreisen, Kehren

 

Klaus Illis künstlerische Vorgehensweise ist radikal. Atemobjekte wie auch Katharsismaschinen manifestieren in zyklischer Wiederholung einfacher Prozesse eine akustische und optische Direktheit, vor der Ausweichen, Weghören oder Wegschauen unmöglich sind. Seine „Maschinen“ gleichen einem extremen Experiment mit der Absicht, die Heilung der Wunden, welche die Trennung von Physis und Psyche hervorbrachte, zu bewirken.

Schon die Atemobjekte mit ihrer direkten Entsprechung zur biologischen Atmung des Betrachters stellen ein Sinnbild für die grundsätzlichen Zusammenhänge des Lebens dar: Des individuellen Lebens als vernetzter Tätigkeit in Inspiration und Expiration derselben Atemluft für alle Tiere und Menschen sowie in Entsprechung zum Makrokosmos, des kosmischen Atmens in der Ausdehnung des Universums und im Wachsen und Zusammenziehen im Kreislauf der Natur. Alle zyklischen Prozesse lassen sich auf diese Bewegung des Ein- und Ausatmens reduzieren.

Zirkular- und Radiermaschinen zeichnen in langsamen Bahnen verschiedener Radien unsichtbare wie sichtbare Abriebspuren, welche letztlich diese für das menschliche Auge und Vorstellungsvermögen unfassbaren Planetenbewegungen darstellen, das elliptische Kreisen der Körper im Raum, als auch das Kreisen der Zeit als Zeiger.

Die Katharsismaschinen verstärken menschliche Obsessionen wie das Kehren als Topos für deutsche Reinlichkeit und führen sie durch die konzeptionelle Reduktion zur Sinnlosigkeit. Kehren transformiert zur Beseitigung von schändlicher kollektiver Geschichte, von verdrängter individueller Biografie, von Schuld und Leid. In der permanenten Rhythmisierung wird der Auslöschversuch von Vergangenheit zur schockartigen Konfrontation mit dem Betrachter: Er muss einsehen, dass auch maschinelles Kehren keine Erlösung mit sich bringt! Insofern kann diese Konfrontation mit der ins Absurde geführten Steigerung eines spezifisch deutschen Musters zur Katharsis, zur inhaltlichen Auseinandersetzung führen.

Perfektion der technischen Apparaturen, Skurrilität mancher Besen, wie die französische Nachbildung eines Reisigbesens in hygienischem Plastik, oder Tabus berührende Einfälle wie das „Abstauben“ eines deutschen Soldatenbildes schaffen keine ästhetisch verbrämte Ablenkung, sie führen direkt und schmerzend ins Zentrum der Frage, wie gehe ich mit der Unreinheit in meinem eigenen Leben, mit der Schuld in der Geschichte meiner Kultur um?

Diese Frage stellt Klaus Illi in seiner Kunst mit permanenter Radikalität, er insistiert mit konzeptioneller Stringenz. Paul Celan bezeichnet dies als „mit der Kunst in seine allereigenste Enge gehen“: An einen Nullpunkt, einen Todespunkt zu gelangen, um gerade hierdurch die Möglichkeit zur Veränderung, zur Katharsis, zur Transformation und Heilung zu erfahren. Die technische Perfektion von Illis Apparaturen lassen sich als der Hinweis auf das mechanistische Weltbild deuten, welches in der schamlosen Perfektion des Holocaust seinen schwarzen Triumph feierte und ähnlich immer wieder feiert. Um mit Joseph Beuys zu argumentieren, musste diese Todeszone erreicht werden, denn „der Tod ist ein Mittel, um das Bewusstsein zu entwickeln.


Markus Wimmer, 2002