"Hase, du bleibst hier"

 

Die Fabel von Hase und Igel muss sich im Kriechkeller unserer "Alten Schule" abgespielt haben. Dieser Kriechkeller war ursprünglich nur durch vier vergitterte kleine Öffnungen (zur Belüftung) mit dem Außenraum verbunden. In der Zeit unserer Renovierungsarbeiten 2007 waren diese Gitter aber bereits beschädigt und dadurch geöffnet. Wie durch diese kleinen Öffnungen in 50-60 cm Höhe die Tiere in den Kriechkeller gelangt sind, ist schwer vorstellbar.

Vermutlich haben sie sich zwecks "Wettkampf" dorthin zurückgezogen - die zur Fabel verdichtete Geschichte vom Igel und seiner Frau und dem hin und her rennenden Hasen, der nicht fassen konnte, dass der Igel immer schon da war, hat also höchstwahrscheinlich just in diesem nur spärlich beleuchteten Kriechkeller stattgefunden und nicht auf einem Acker.

Es ist Zufall, dass dieser Schaulauf ohne pädagogischen Sinn und Verstand in einem Schulgebäude stattfand - der Kriechkeller war für Menschen unzugänglich und für eine Beobachtung von Außen zu dunkel.

Bekanntlich rannte der Hase 73 Mal hin und her, beim 74. Mal brach er tot zusammen. Beim unserem mumifizierten Hasen ist noch sehr gut die Laufbewegung erkennbar. Dass allerdings auch die beiden Igel an Ort und Stelle verstarben, wirft ein neues Licht auf die Geschichte dieses merkwürdigen Wettstreits von Hochmut und Schlauheit. Ob die beiden Igel ob des vermutlich nicht absehbaren plötzlichen tragischen Endes des Hasen sich aus Schuldgefühl spontan zu einem gemeinsamen Suizid haben hinreißen lassen, verbleibt im Reich der Spekulation und ist vermutlich zu menschlich gedacht. Eher wohl hat sich hier das Sprichwort von der berühmten Grube bewahrheitet, in die man schließlich selbst hinein fällt.

Interessant ist, das die Igelin eingerollt ist, so als ob sie sich bedroht fühlte. Von dem Hasen etwa? War er vielleicht doch nicht so harmlos, sondern ein potentieller Täter? 

Bleibt eine zeitliche Ungereimtheit. Die Alte Schule wurde 1894 fertiggestellt, die Geschichte in Grimmscher Version wird aber bereits 1843 von den Brüdern Grimm als Nr. 187 in die 5. Auflage der Kinder- und Hausmärchen aufgenommen.

Ob unser Hase und das Igelpaar das "Hase- und Igel-Spiel" nur nachgespielt haben? Hat sich etwa eine gruselige Tradition dieses Spiels gebildet, weil die Nachkommen jenes Hasen es noch immer nicht begreifen können, dass es Schnellere als sie geben könnte?

Eine kleine Zusatztragik ist, dass sich das Spiel mit dramatischem Ende in einem Schulgebäude zutrug. Das Spiel zeugt von Geschichtsvergessenheit und bestätigt die Erkenntnis, dass die Gefahr von Wiederholung droht, wenn man Geschichte vergisst oder verdrängt. Und das ausgerechnet an einem Ort, wo es doch darum geht, aus Fehlern zu lernen.  

 

Am Jahrestag der fremdenfeindlichen Ereignisse in Chemnitz, die auf den gewaltsamen Tod von Daniel Hillig folgten, der nächtens von Asylbewerbern am Rande eines Stadtfestes niedergestochen worden war, am 26.8.2019 also wurden die damaligen Ereignisse nochmal filmisch im Fernsehen präsentiert, insbesondere die Szene mit der "Hetzjagd", die es ja laut damaligem Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen gar nicht gab.

Dabei ist ein kräftiger, quasi kampfbereiter junger Mann von hinten zu sehen, der am Straßenrand stehend offensichtlich überlegt, den längst gestarteten jagenden Gleichgesinnten zu unterstützen, während man eine entschlossene weibliche Stimme aus dem Off hört, die einen unzweideutigen Unterton der klaren Empfehlung hat: "Hase, du bleibst hier!".

Ein Lob auf die erzieherische Funktion der vernünftigen Häsin! Der Rat wurde befolgt, der Schlägertyp blieb Zaungast.

Auf Youtube lässt sich diese Filmszene mühelos finden.

Hätte der Hase in unserer Geschichte eine Gefährtin gehabt, wäre ihm sein Ungemach wohl erspart geblieben.

 

Und noch ein Puzzleteil aus der unendlichen Geschichte des Brexitdramas hat jüngst die Hase und Igel-Geschichte bereichert: Boris Johnson hat bei einer Rede am 5. Sept. 2019 auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, den Brexit über das Austrittsdatum 31.10.2019 hinaus zu verzögern, mit folgendem denkwürdigen Satz geantwortet: 

"I'd rather be dead in a ditch".

Beinhaltet dies eine Anspielung auf Kriegszeiten, auf den "Heldentod" im Schützengraben?

Offensichtlich ist jedenfalls eine klare Identifikation mit dem hochnäsigen Hasen.

 

Vielleicht gut so, dass die Frage von Täter und Opfer, Gut und Böse, Sieger und Besiegter bei Hase und Igel komplex und gar nicht so eindeutig zu beantworten ist.

 

Jedenfalls ist nun erstmal eine Skizze entstanden.

Der mumifizierte Hase, so wie er auf dem Boden liegend 2007 im Kriechkeller der Alten Schule vorgefunden wurde.

 

The mummified hare, as it was found lying on the ground in 2007 in the crawling cellar of the old school.

Die bodenseitige Unterseite unseres tragisch Gescheiterten, die sein Innenleben offenbaren.

 

The bottom side underside of our tragically failed, revealing his inner life.

Hier das mumifizierte Igelpaar, rechts die eingerollte Igelin.

 

Here the mummified pair of hedgehogs, on the right the rolled up hedgehog.

Vorn die eingerollte Igelin.

Anmerkung: Das mumifizierte Trio befindet sich in unserem kleinen "Schulmuseum" vor Ort.

 

In front the rolled hedgehog.

Note: The mummified trio is located in our small "school museum" on site.

"Hare, you stay here"

 

The fable of hare and hedgehog must have taken place in the crawling cellar of our "Old School". This crawl cellar was originally only connected to the outside space by four small openings with bars (for ventilation). During our renovation work in 2007, however, these grilles were already damaged and thus opened. How through these small openings in 50-60 cm height the animals got into the crawl cellar is hard to imagine.

Probably they withdrew there for the purpose of "competition" - the tale of the hedgehog and his wife and the rabbit running back and forth, who couldn't believe that the hedgehog was always already there, condensed into a fable, probably took place just in this poorly lit crawl cellar and not on a field.

It is a coincidence that this exhibition took place in a school building without pedagogical sense and understanding - the crawling cellar was inaccessible to people and too dark for observation from the outside.

It is well known that the rabbit ran back and forth 73 times and collapsed dead the 74th time. With our mummified rabbit the running movement is still very well recognizable. But the fact that the two hedgehogs died on the spot throws a new light on the history of this strange competition of arrogance and cunning. Whether the two hedgehogs, because of the probably unforeseeable sudden tragic end of the rabbit, spontaneously let themselves be carried away to a common suicide out of a sense of guilt, remains in the realm of speculation and is probably too humanly thought. It is more likely that the proverb of the famous pit, into which one finally falls oneself, has come true here.

It is interesting that the hedgehog is rolled up as if she felt threatened. About the rabbit? Was he perhaps not so harmless after all, but a potential perpetrator? 

 

There remains a temporal inconsistency. The Old School was completed in 1894, but the story in the Grimms' version was already included in 1843 by the Grimm brothers as No. 187 in the 5th edition of the children's and family fairy tales.

Did our rabbit and the hedgehog couple only play the "rabbit and hedgehog game"? Has a creepy tradition of this game developed, because the descendants of that hare still can't understand that there could be faster than them?

A little extra tragedy is that the game happened with a dramatic end in a school building. The game bears witness to forgetfulness of history and confirms the realization that the danger of repetition threatens if one forgets or represses history. And all this in a place where it's all about learning from mistakes.  

 

On the anniversary of the xenophobic events in Chemnitz that followed the violent death of Daniel Hillig, who had been stabbed to death by asylum seekers on the outskirts of a city festival by night. On August 26, 2019, the events of that time were presented again on film on television, especially the scene with the "Hetzjagd" (Hunt for Hats), which according to Maaßen, President of the Office for the Protection of the Constitution at the time, did not even exist.

A strong young man, quasi ready to fight, can be seen from behind, standing at the side of the road, obviously thinking about supporting the hunting like-minded man who has long since started, while you hear a determined female voice from off, which has an unambiguous undertone of the clear recommendation: "Rabbit, you stay here!

A praise for the educational function of the sensible Bunny! The advice was followed, the thugs remained onlookers.

You can easily find this scene on Youtube.

If the rabbit had had a companion in our story, he would probably have been spared his misfortune.

 

Another piece of the puzzle from the endless story of the Brexit drama has recently enriched the history of rabbits and hedgehogs: Boris Johnson responded to the question of whether he could imagine delaying the Brexit beyond the date of departure Oct. 31, 2019 with the following memorable sentence during a speech on Sept 5, 2019: 

"I'd rather be dead in a ditch".

Does this contain an allusion to war times, to the "hero's death" in the trenches?

At any rate, a clear identification with the snobbish rabbit is obvious.

 

Maybe it's good that the question of perpetrator and victim, good and evil, victor and defeated with hare and hedgehog is complex and cannot be answered so clearly.

 

In any case, a sketch has now been created.